Dieser Artikel von Shahhussain Rasuli ist zuerst auf Dari in der CORAX – Programmzeitung Februar/März 2024 erschienen.
Shahhussain Rasuli arbeitet seit mehr als zwölf Jahren als Journalist und war in leitenden Positionen in verschiedenen Medien tätig. Vor seinem Umzug nach Deutschland war er Chefredakteur der renommiertesten afghanischen Zeitung „Hasht-e Sobh“. Seit einem Jahr lebt er in Deutschland und arbeitet derzeit bei Radio Connection in Berlin. Hier schreibt er über seine Erfahrung, als Journalist in Deutschland anzukommen.
Als Journalist habe ich viele Menschen gefragt, was ihnen zu Afghanistan einfällt. Oft haben sie gesagt, dass sie dabei an Krieg und Armut denken. Und wenn sie das Land besucht haben, fügten sie ihrer Antwort „Freundlichkeit und Gastfreundschaft“ hinzu. Ich war mehr als zwölf Jahre lang Journalist in diesem Land. Den größten Teil dieser Jahre habe ich bei verschiedenen Radiosendern gearbeitet –- bei Medien, die über ganz Afghanistan und über die kleinsten Nachrichten aus dem Land informierten. Vor anderthalb Jahren kam ich nach Deutschland und begann bald, bei Radio Connection in Berlin zu arbeiten.
Glücklicherweise fand ich nach kurzer Zeit sehr gute Freunde und wurde vertrauter mit der Arbeitsatmosphäre. Hier ist der Journalismus anders, als ich es in den Ländern des Nahen Ostens erlebt habe. Hiesige Sorgen und Anliegen sind weit entfernt von den Sorgen und Themen dort. In den letzten fünf Jahren meiner Arbeit als Journalist in Afghanistan gab es keine Woche ohne unangenehme Nachrichten. Aber seit einem Jahr habe ich in meiner neuen Lebensumgebung glücklicherweise noch keine ähnlichen Nachrichten gehört. Ein berühmtes chinesisches Sprichwort sagt: „Der schlimmste Tag für einen Journalisten ist der beste Tag.“ Aber jetzt weiß ich, dass das nicht immer so ist.
Das Arbeitsklima hier ist anders als in dem Land, in dem ich geboren wurde. Die Atmosphäre unter den Kollegen ist sehr freundlich. In den ersten Tagen erkannte ich überhaupt nicht, wer der Chef und wer die Angestellten sind. Alle arbeiten zusammen, um eine Sendung zu produzieren. Diese Erfahrung gibt mir die Energie, engagierter für die Produktion einer guten Sendung zu arbeiten. Als Neuankömmling war es eine goldene Gelegenheit, mich an die Arbeit in meinem Wunschbereich anzupassen, neue Freunde zu finden und von ihren Erfahrungen zu profitieren. Aber schwierig daran ist: Die deutsche Sprache!
Angst und Stress
Viele Neuankömmlinge oder Migrant*innen in Deutschland haben Angst vor der deutschen Sprache. Ein Faktor, der diese Angst erzeugt, sind Äußerungen von Menschen, die denken, diese Sprache sei für andere schwierig.
Bevor ich nach Deutschland kam, beschränkte sich mein ganzes Wissen über die deutsche Sprache auf die Namen deutscher Autor*innen und den Titeln ihrer berühmten Werke. Aber ich bin vielleicht einer der wenigen Neuankömmlinge, die denken: Wenn ich diese Sprache lerne, habe ich Zugang zu den Originaltexten aus 250 Jahren westlicher Philosophie.
Ich bin begeistert, in einem Land zu leben, in dem Goethe, Günter Grass und Bertolt Brecht geschrieben haben. Ich habe ein gutes Gefühl, wenn ich den Morgen mit der Musik von Beethoven in seinem Land beginne. Ich denke, die Angst vor der Sprache ist sehr typisch und die Neuankömmlinge müssen sich ihr stellen. Obwohl sich diese Angst in den ersten Tagen des Ankommens für mich und andere Menschen aus meinem Umfeld sehr zerstörerisch anfühlte, wurde alles besser, sobald wir die ersten Sätze deutscher Konversation gelernt hatten.
Einsamkeit und Isolation
Neben der Schwierigkeit mit der Sprache stört mich am meisten die Einsamkeit. In dem Land, aus dem ich komme, konnte ich leicht neue Freunde finden. Es reichte, das Gespräch zu beginnen und seine Meinung zu äußern. Aber hier ist die Gesellschaft sehr dynamisch und dadurch sind alle beschäftigt und haben nur wenig Zeit für andere. Ich weiß, dass diese Art zu leben auch positive Aspekte hat, aber für mich und Menschen wie mich, die neu in eine neue Gesellschaft gekommen sind, ist die Anpassung an sie zeitaufwändig. Vor der Anpassung müssen wir die Phase der Einsamkeit durchlaufen. Ich verbringe diese Zeit mit Lesen, Schreiben und Arbeiten. Das Lesen von Büchern hilft mir, mich nicht einsam zu fühlen und mit den Erfahrungen ihrer Charaktere kann ich besser mit den Problemen und der neuen Umgebung zurechtkommen. Einer meiner Freunde mit vielen Jahren Migrationserfahrung zitierte eine Zeile aus dem Buch Aufzeichnungen aus einem Totenhaus von Fjodor Dostojewski: „Ja, der Mensch hat ein hartes Leben. Ich glaube, die beste Definition, die man vom Menschen geben kann, ist diese: Der Mensch ist ein Wesen, das sich an alles gewöhnt.“
Eines der Dinge, die Migrant*innen und Neuankömmlinge stärker für die Zukunft motivieren können, besteht darin, zu akzeptieren, dass sie nicht mehr von der Vergangenheit abhängig sind und dass sie sich und ihren Kindern eine neue Grundlage schaffen müssen. Ein neues Leben in einer neuen Welt zu beginnen, in der alles neu und unbekannt ist, ist schwierig. Aber es ist eine Aufgabe, die keine Wahl hat, die über die Zukunft entscheidet, die motivieren kann.